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Machen uns flexible Arbeitsformen erfolgreicher?

Erschienen im HR Today Blog am 6. Juli 2017

Als Mitgründerin der 2009 lancierten Initiative «Home Office Day» hätte ich diese zentrale Frage lange Zeit mit einem eindeutigen «Ja» ohne Nachsatz beantwortet. Ich bin heute mehr denn je eine vehemente Verfechterin von Autonomie und Eigenverantwortung, sehe die Frage aber aufgrund der gesammelten Erfahrungen und Einblicke etwas differenzierter. Flexible Arbeitsformen sind kein Zaubertrank, der Organisationen übernatürliche Kräfte verleiht. Sie akzentuieren lediglich das bereits Vorhandene. Motivierte Mitarbeiter werden sich noch stärker für den Erfolg des Teams und der Firma einsetzen; demotivierte Mitarbeiter werden Wege finden, ihren persönlichen Beitrag zum Gesamterfolg der Organisation noch weiter zu reduzieren. Und was ist mit den Menschen in der Mitte? Diejenigen, welche eine Organisation einst mit ganz viel Hoffnung und Leidenschaft betreten haben, diese aber im Laufe der Zeit gegen Resignation eingetauscht haben?

Der Glaube, dass sich das Problem der Demotivation und Resignation durch Führung mittels Präsenzkultur und kurzer Leine lösen lässt, ist bei Managern weit verbreitet. Ähnlich, wie Kleinkinder sich zu verstecken versuchen, indem sie die Hände vor die Augen halten. Flexible Arbeitsformen schaffen keine neuen Probleme – sie spülen bloss Leichen an die Oberfläche, die schon immer da waren. Die Konsequenzen der Demotivation müssen über die klassischen Instrumente der Führung und der Leistungsbeurteilung adressiert und gelöst werden – nicht über die Messung der Anwesenheit. Eine Präsenzkultur kann zwar sicherstellen, dass Low Performer zumindest nicht noch Spass haben beim Nichtstun; sie macht aber nie aus einem Mitarbeiter, der sich nicht mit den Zielen der Organisation identifiziert, den Mitarbeiter des Monats.

Dass die motivierten Mitarbeiter flexible Arbeitsformen als Startrampe für noch mehr Engagement und Leistung nutzen werden, liegt auf der Hand. Doch was ist mit der grossen Masse der Resignierten, wo die Glut noch da ist, aber das Feuer nicht mehr brennt? Ich bin überzeugt davon, dass mehr Autonomie und Gestaltungsspielraum die Ambitionen und die Eigenverantwortung zurückbringen, die immer da waren. Ein bedingungsloser Vertrauensvorschuss ist eine der stärksten Waffen, die Organisationen im Kampf gegen Resignation und Demotivation einsetzen können. Es gibt unzählige Beispiele, vor allem auch im Privatleben, wo wir diesen Effekt an uns beobachten können. Vertrauensvorschuss heisst: «Ich sehe dich im besten Licht – niemand kann es besser als du». Und genau das zwingt Menschen dazu, zu wachsen und den Panzer der Resignation abzulegen.

Wenn wir uns anschauen, wie sich Jobs und Rollen aufgrund der zunehmenden Automatisierung verändern werden, so wird klar, dass die Aufgaben, die auch in Zukunft durch Menschen abgedeckt werden, noch anspruchsvoller und komplexer werden. Ob der Mitarbeiter «Dienst nach Vorschrift» macht oder sich leidenschaftlich einsetzt, hat sowohl auf das Kundenerlebnis als auch die Innovationskraft einen massiven Einfluss. Wir werden in Zukunft Höchstleistung noch viel weniger messen und steuern können. Schlicht, weil wir oft gar nicht verstehen, was in einer Situation die Höchstleistung wäre. Wenn ein Passagier auf einem Langstreckenflug eine Kopfwehtablette verlangt und der Flugbegleiter vergisst, diese zu bringen, ist der Kunde unzufrieden. Wenn er die Tablette innerhalb von 5 Minuten erhält, ist der Auftrag erfüllt. Ganz einfach eigentlich. Ein engagierter Flugbegleiter würde aber regelmässig mit Wasser vorbeikommen und den Gast darauf hinweisen, dass er aufgrund der trockenen Luft doppelt so viel trinken sollte wie am Boden. Vielleicht würde er ihm sogar einen ruhigeren Ort offerieren, ohne einen zahnenden Säugling auf dem Nebensitz.

Stellenbeschreibungen, klare Zielvorgaben und rigide Top-Down Führung machen im Zeitalter der Unsicherheit und Komplexität für ganz viele Rollen keinen Sinn. Eine Bankrotterklärung für das Management? Keinesfalls – es bekommt eine noch viel wichtigere Rolle. Indem es eine grosse Mitverantwortung dafür trägt, dass Rahmenbedingungen entstehen, die aus ihren Mitarbeitern Superstars machen, die jeden Tag die Firma retten wollen. Ich spreche jetzt nicht vom «Chief Happiness Unsinn» und einer Zwangs-Spasskultur. Es geht darum, dem Einzelnen das Gefühl zu geben, dass er in der Organisation eine wichtige Rolle spielt und dass sein Beitrag erfolgskritisch ist.

Flexible Arbeitsformen können kurzfristig zu Effizienzeinbussen, Reibungsverlusten und einer höheren Fluktuation führen. Weil sowohl Mitarbeiter als auch Führungsverantwortliche lernen müssen, mehr Verantwortung zu übernehmen, sich zu vertrauen und auf Augenhöhe zu kommunizieren. Und weil sich beide Seiten fragen müssen, ob und wie stark sie sich mit den Zielen der Organisation identifizieren.

Machen uns flexible Arbeitsformen erfolgreicher? Nein. Aber die Menschen, die auf den Vertrauensvorschuss mit Eigenverantwortung, Engagement und Leidenschaft antworten, werden uns erfolgreicher machen.