854 Worte via Barbara
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Autonomie
Change
flexible Arbeitsformen
Führung
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Aktualisiert 178.197.224.35

It’s the signals, stupid.

Erschienen im HR Today Blog am 30. März 2017

Immer wieder machen «Rückrufaktionen» für Mitarbeiter Schlagzeilen – IBM ist das jüngste Beispiel eines Unternehmens, das sich ernüchtert von der grenzenlosen Freiheit des «work anywhere – anytime» verabschiedet. Wenn der Vorreiter des neuen Arbeitens diesen radikalen Schritt zurück zur Arbeit «Schulter an Schulter» propagiert, so ist er noch bedeutsamer. Wir sollten ihn ernst nehmen und uns mit den Motiven auseinandersetzen – und wenn auch nur, um am Schluss doch in der Entscheidung für mehr Eigenverantwortung und eine Kultur des gegenseitigen Vertrauens bestärkt zu werden.

Drehen wir das Rad der Zeit zurück. Telearbeit kam Ende der 1960er Jahr zögerlich auf – es war die Ölkrise, die der Arbeit von zu Hause aus 1973 zum Durchbruch verhalf. Nebst betriebswirtschaftlichen Ressourcenoptimierungen ging es damals auch um einen smarteren Umgang mit Mobilität. Eine zweite Blüte erlebte das Thema Ende des letzten Jahrtausends unter dem moderneren Begriff «Home Office». Im Gegensatz zur Telearbeit ging es nun aber um ein ergänzendes Arbeitsszenario, das grundsätzlich allen Arbeitnehmern im wissensintensiven Bereich offenstand. In der Schweiz sind dies immerhin 44 Prozent der Erwerbstätigen. Es ist keineswegs das Privileg einer kleinen Elite, wie oft ins Feld geführt wird. Trotz der eingangs erwähnten Schlagzeilen ist es eine erwiesene Tatsache, dass diese Form der Flexibilisierung unaufhaltsam und unumkehrbar stattfindet – weltweit und insbesondere in der Schweizer Wirtschaft, die sich schon längst vom Werk- hin zum Wissensstandort entwickelt hat.

Der wichtigste Treiber dieser Veränderung ist sicherlich der technologische Fortschritt – für einige sind es die Geister, die wir nicht riefen. Vielen Firmen unterstützen die Flexibilisierung der Arbeit, weil sie sie nicht verhindern können. Oder weil sie sich davon ökonomische Vorteile versprechen. Dies im Gegenzug zu denjenigen Organisationen, die ein echtes Interesse daran haben, den technologischen Fortschritt in Freiräume für die Mitarbeiter umzuwandeln. Weil sie anerkennen, dass in einer Wissensgesellschaft Präsenz und Leistung nicht korrelieren. Weil sie sich vom Gedanken, alles kontrollieren zu können, verabschiedet haben. Und weil die Erkenntnis gereift ist, dass Autonomie und Selbstbestimmung die wichtigste Voraussetzung für eine unternehmerische Kultur sind.

Wenn Mitarbeiter mit Veränderungen konfrontiert sind, steht die Frage nach dem «Warum» immer im Zentrum. Bei dieser Suche nach den wahren Motiven der Veränderung spielt die offizielle Kommunikation eine unbedeutende Nebenrolle. Das Bild der Veränderung setzt sich wie ein Mosaik aus der Interpretation von unzähligen Signalen zusammen, denen die Mitarbeiter laufend begegnen. Sie stehen symbolisch für die grossen Monolithen wie die Unternehmenskultur, die Führungsphilosophie und das Wertesystem. Erst die Signale erwecken diese theoretischen Konstrukte zum Leben, da sie Werthaltungen, Denkweisen und ungeschriebene Gesetzte begreifbar machen. Der Blick der Kollegin auf die Uhr, wenn man das Büro nach 10 Uhr betritt, der Gratiskaffee in der Pausenzone, die Beförderung eines Kollegen, der auch als «ewiges Licht» bekannt ist – nicht weil er so hell ist, sondern abends am längsten im Büro ausharrt, der CEO, der mitten in der Open Space Zone arbeitet, das Budget, das unkompliziert für mutige Ideen zur Verfügung gestellt wird, das «Like» auf der Enterprise Social Plattform des Head of Innovation, wenn der Lernende eine brillante Idee einreicht – das alles sind Signale, die unser Bild von einer Veränderung prägen und entscheiden, ob wir mitmachen oder nicht.

Die Einführung von flexiblen Arbeitsformen ist für Organisationen und Individuen eine riesige Chance. Es ist nicht nur der Aufbruch zu einer neuen Form der Zusammenarbeit, sondern auch ein Moment der Wahrheit. Die Organisation legt ihr Menschenbild offen, der Mitarbeiter seine Einstellung zur Arbeit und seine wahre Motivation. Das Verlassen des Bewährten ohne in Ufernähe des Neuen zu sein, braucht ganz viel Mut, unbestritten. Erschwerend kommt hinzu, dass der Wandel mit den gleichen Menschen vollzogen werden muss, die für das Alte standen. So etwas wie Schubumkehr gibt es bei Managern nicht.

Bei der Gestaltung des Wandels gibt es keine Garantie für Erfolg, aber es gibt garantierte Wege zum Scheitern. Nicht ehrlich über die Gründe einer Veränderung zu sprechen und die Mitarbeiter nicht einzubeziehen zählt dazu. Noch viel absurder ist jedoch «Pseudo-Flexibilisierung» – sie findet statt, wenn jeder noch so kleine Freiraum durch Spielregeln, Kontrollmechanismen und Richtlinien erstickt wird. Wenn sämtliche Signale, die auf die Mitarbeiter während eines Veränderungsprozesses einprasseln, bestätigen, dass es nur um Ressourcenoptimierungen geht und man ihnen Eigenverantwortung gar nicht erst zutraut – warum sollen sie dann in Begeisterung ausbrechen, wie dies die Phase «Desire» im Change-Modell suggeriert?

Würden wir privat Präsenzpflichten mit dem Liebsten in einer Policy definieren, die telefonische Erreichbarkeit in einem Beziehungsmanifest festhalten oder eine Blumenstrauss-Scorecard aufstellen um eine glückliche Beziehung sicherzustellen? Stellen Eltern bei ihren pubertierenden Teenagern über Nacht von Autorität auf Holakratie um? Flexibilisierung heisst loslassen und lernen – für beide Seiten. Es ist ein langsamer Prozess, der Mut und Vertrauen braucht. Es ist jedoch kein Sprung ins Leere; man kann sich langsam vorantasten und verhandeln. Positive wie negative Signale verstärken sich selber. Wir haben es in der Hand, welches Bild einer Veränderung wir vermitteln wollen.