#AbrüsterIn
Erschienen im HR Today Blog im März 2019
Wir stehen vor einer wichtigen Weichenstellung. Ob der aktuelle Umbruch herbeigeredet ist oder ob wirklich ein Paradigmenwechsel stattfindet, spielt keine Rolle. Unbestritten ist, dass ganz viele Organisationen sich momentan auch ausserhalb ihres Strategieprozesses und der Budgetplanung Gedanken über ihre Zukunft machen.
In einem Punkt gleichen sich diese Diskussionen – unabhängig davon ob sie in einer Bildungsinstitution, einer öffentlichen Verwaltung oder einem internationalen Grosskonzern stattfinden. Bei der Lösungsfindung fällt immer der Begriff «Partizipation». Er steht symbolisch für die Vorstellung, dass bessere Lösungen entstehen, wenn Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund ein komplexes Thema gemeinsam angehen. Und er steht für die Überzeugung, dass ein ehrliches Involvieren der Beteiligten nicht nur Identifikation und Akzeptanz schafft, sondern auch das Vertrauen stärkt – selbst wenn wir nicht genau verstehen, wo die Reise hingeht. Im Idealfall ist «Partizipation Management» das neue «Change-Management» – weil es letzteres dann gar nicht mehr braucht. Und weil der Prozess der Entscheidungsfindung gar nie in so absurder Weise vom Prozess der Gestaltung und Umsetzung hätte getrennt werden sollen.
Ich hatte letztes Jahr ein Erlebnis, das mein – zugegebenermassen etwas zu romantisches – Verständnis von Partizipation stark geprägt hat. Ich durfte in einer Organisation bei einem neu initiierten, freiwilligen «Mitgestaltungsworkshop» dabei sein. Ich hatte mir vorgängig schon ausgemalt, wie in dieser Runde die Ideen sprudeln würden und wie wir den Raum nicht nur mit konkreten neuen Projektideen, sondern mit ganz viel Zuversicht verlassen würden. Es kam anders. Statt inspirierenden neuen Fragestellungen, wurden einseitige Forderungen eingebracht und statt gemeinsam Zukunft zu gestalten, wurde penibel mit der Vergangenheit abgerechnet. Ich gebe es zu: «Nie wieder Partizipation!» war mein erster Gedanke. Plötzlich war das Instrument, von dem ich mir eine Zukunft auf Augenhöhe erhofft hatte, zu einer Art Schiessbude verkommen, wo Verhinderer mit faulen Eiern auf die Gestalter zielen konnten, ohne dass diese die Möglichkeit haben, zu flüchten.
Das Erlebnis wie es auch anders sein kann, liess zum Glück nicht lange auf sich warten – Wochen später lernte ich eine Firma kennen, die «Mitgestaltung» als zentralen Erfolgsfaktor definiert hat und sehr konsequent lebt. Und dies lange bevor das Thema es in die Manager-Bullshit-Hitparade geschafft hat. «Unser Mitbestimmungsmodell legt die Basis für unseren Erfolg. Es bürgt für Chancengleichheit, flexible Arbeitsformen und die Entfaltungsmöglichkeit aller Mitarbeitenden. Die Mitverantwortung ist Motivation für das unternehmerische Denken jedes einzelnen, sie lässt uns mit Lust unser Unternehmen mitgestalten.» Gänsehaut! Als ich diesen Satz auf der Website las, wusste ich, dass diese Zusammenarbeit wohl vor allem für mich selbst ein Weiterbildungstag werden würde. Und genau so war es. Ich habe nicht nur auf eindrückliche Weise erlebt, dass mein rosarotes Bild von Partizipation funktioniert – diese Haltung überträgt sich sogar auf die Zusammenarbeit mit Externen.
Ich schildere diese beiden Erlebnisse, weil sie mir geholfen haben etwas zu verstehen, was mich schon seit Jahren beschäftigt. Wenn man von aussen Veränderungsprozesse beobachtet, begegnet man immer wieder Pattsituationen. Obwohl wir Dinge vereinfachen wollen, machen wir sie komplizierter, anstatt Agilität entsteht Bürokratie und anstelle von Unternehmergeist ernten wir Resignation sowie Zynismus. Auf Reaktion folgt Gegenreaktion und mit jeder Verschärfung der Regeln und Einschränkung der Freiheit bewegen wir uns weiter weg vom ursprünglichen Ziel.
Wenn wir die anstehenden Herausforderungen in Wirtschaft und Gesellschaft lösen wollen, muss es uns gelingen, diesen Prozess des unkontrollierten Wettrüstens zu verhindern. Er macht aus beiden Seiten Verlierer, die am Schluss schlechter dastehen als zu Beginn.
Während meiner Lehrerausbildung hat unser damalige Psychologie-Dozent uns etwas enorm Wichtiges aus seiner Unterrichtserfahrung mit auf den Weg gegeben: «Es gab Tage, da haben wir uns einfach nur gegenseitig genervt. Und je ‹strenger› ich wurde, desto mühsamer wurde die Klasse. Natürlich habe ich mir in so einer Situation nicht überlegt, wie ich die Kinder überraschen könnte. Doch genau darin liegt der Schlüssel zum Erfolg: Man kann nur aus einer Negativspirale ausbrechen, wenn man genau das Gegenteil von dem macht, was das Gegenüber als Reaktion erwartet. Also gingen wir in solchen Situationen zusammen in den Wald – ein Ritual, das wir liebten. Natürlich braucht es Überwindung, dem anderen eine Freude zu machen, wenn einem nach dem Gegenteil zu Mute ist. Aber es lohnt sich – und nur so kommt man wieder zurück auf eine gesunde Basis.»
Und genau diese gesunde Basis ist uns im ganzen Hype um die digitale Transformation abhanden gekommen. Es geht gar nicht um die Veränderung selber, sondern um viel Grundsätzlicheres: um offene Rechnungen, verletzte Gefühle, Enttäuschungen aus der Vergangenheit und gegenseitiges Misstrauen. Wenn die Fronten derart verhärtet sind und man nur vordergründig über eine Sache verhandelt, ist es unmöglich, gemeinsam Neues zu gestalten, das Bewährte zu verlassen und sich auf Unsicherheit einzulassen. Selbst wenn man Mary Poppins fürs Change Management engagiert.
Und dennoch ist die Lösung bestechend einfach: Wettrüsten lässt sich durch Abrüsten stoppen. Oft genügt es, den ersten Schritt zu machen und einen «Vertrauenssprung» zu wagen. Wer sich verletzlich zeigt, nimmt gleichzeitig auch das Gegenüber in die Verantwortung. Als Erste lächeln, sich für etwas entschuldigen, das man nicht gemacht hat, eine Unsicherheit offen ansprechen, zugeben, wenn man etwas nicht weiss, seine eigenen Gedanken offenlegen, anstatt zu versuchen, die Motive des Gegenübers zu entschlüsseln. Abrüsten ist auch ansteckend. Und genau das beabsichtige ich mit diesem Blog-Post. Nun habe ich den ersten Schritt gemacht.